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Kolumne ABO

Kolumne verwandert

16.02.2024 • Text: Ava Slappnig

An dieser Stelle habe ich mir vor einem Jahr den Winterschlaf gewünscht und bin stattdessen verreist. Weil aktuell beides keine Option ist, habe ich mich letzthin gut eingepackt mit einer Freundin vor die Tür gewagt. Draussen hingen die Wolken ungewöhnlich tief und verwandelten den frühen Nachmittag in eine schlechte «nuit américaine». Zudem war es so kalt, dass sich die Bise in meine Nasenlöcher, Nasenspitze und nackten Wangen frass und der Atem als undurchsichtiges, weisses Gewölk über uns hängen blieb: Wenn ich allein unterwegs gewesen wäre, hätte ich direkt wieder kehrtgemacht. Uff. Meine Freundin sah es genauso. Zusammen beklagten wir uns also zuerst über das Wetter und den fehlenden Schnee, dann auch über den rutschigen Boden, den Hunde­kot auf dem Weg, den suppigen Fluss, den Mundgeruch ihres Chefs und die dicke Katze, die im Treppenhaus an meine überwinternden Pflanzen pisst. Darüber, dass ich verpasst habe, meine Franchise anzupassen. Über das Konzept der Silvesternacht. Langsam redeten wir uns mehr und mehr in Rage, und als wir dann irgendwie beim «Kapitalismus!», und dem «Patriarchat!» und der «Menschheit!» landeten, wurde mir wohlig warm. Die naheliegende Erklärung dafür ist, dass wir den Wanderweg in einem irren Tempo abschritten und uns diese Bewegung von innen nach aussen aufheizte. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich mich meiner Freundin sehr verbunden fühlte.

Von der Philosophin Silvia Federici weiss ich nämlich, dass «gossip», also das englische Wort für Klatsch und Tratsch, früher eigentlich eine andere Bedeutung hatte. Wenn man das Wort in seine Wurzeln zerlegt, heisst es nämlich so viel wie Gotte oder Götti, später bezeichnete es eine Geburtsbegleiterin und dann enge Freundin und Verbündete. Die heutige, eher negativ konnotierte Bedeutung, erhielt «gossip» erst mit dem Aufkommen des patriarchal geprägten Kapitalismus, halt dann, wenn enge Freundinnenschaften dem System gefährlich wurden. Ob die Wärme in mir an diesem Wintertag vom schnellen Marschieren, vom gemeinsamen Tratschen oder von der Verbündung mit meiner Freundin kam, weiss ich nicht  – und schliesslich spielte das eigentlich auch gar keine Rolle. Aber dass mir beim Wandern derart warm wurde, spricht doch dafür, sich trotz allem vor die Tür zu wagen.

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